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Vor zehn Jahren noch träumten deutsche Künstler davon, die Playlists großer Sender wie NDR oder WDR anzuführen. In der „heavy rotation“ des Radios zu laufen, war der wichtigste und sicherste Weg, um Songs bekannt zu machen, Einnahmen zu generieren und erfolgreich auf Tour zu gehen.

Zehn Jahre später sind die Spielregeln im Musikgeschäft völlig andere. Streaming-Giganten wie Spotify oder Apple Music bestimmen mittlerweile unseren Musik-Konsum. Weder das durchkomponierte Album noch das reichweitenstarke Radio haben den größten Einfluss. Für das Marketing zählen vor allem die Playlists der Streaming-Dienste.

Entsprechend warten deutsche Künstler jeden Donnerstag um 23:57 Uhr gespannt auf die aktualisierte "New music friday"-Liste bei Spotify. Wenn die Liste erscheint, hofft natürlich jeder, seinen eigenen Song darin zu finden. In den Playlists des deutschen Radios zu landen, hat dagegen an Bedeutung verloren. Die digitalen Vertriebswege haben sich komplett durchgesetzt, sagen viele in der Branche.

Regisseur von Spotifys globalen Rankings ist der Schwede Nick Holmstén. Er ist verantwortlich für die über hundert Redakteure weltweit, die als Teil der Spotify-Redaktion ihre Playlisten zusammenzustellen -- basierend jeweils auf den doch recht verschiedenen Vorlieben eines regionalen Publikums.

"Zum Beispiel legen wir bei der schwedischen Playlist Top 100 gerade einen stärkeren Schwerpunkt auf schwedischen HipHop", erklärte Holmstén in einem Video-Chat aus New York, wo er seit einigen Monaten arbeitet.

Die Marktforschung des Unternehmens ergab leider, dass die heimische Hip-Hop-Szene in Schweden keine solche Aufmerksamkeit genießt wie die Rapper in vielen anderen Ländern.

- Der lokale Hip Hop läuft fast überall auf der Welt gigantisch, außer in Schweden. Ich denke, wir stehen da auch in der Verantwortung, heimische Musik zu stärken und den Künstlern zu helfen sich weiterzuentwickeln. Darum bemühen wir uns wirklich, sagt Holmstén. Das klingt, als hätte Spotify die Macht, Hörgewohnheiten eines ganzen Landes zu verändern?.

In dieser untersten Ebene sind die Spotify-Redakteure am aktivsten. Die Auswahl der Songs basiert auf einer Kombination von Daten, ständiger Zielgruppenforschung und dem Feedback verschiedener Testgruppen.
Nick Holmstén

Laut Holmstén ist das schwedische Publikum insofern eigen, dass es im Vergleich zu den Nachbarländern Dänemark und Finnland internationaler orientiert ist.

- Sie können das gut mit Netflix vergleichen. Wenn wir zwischen einer schwedischen und einer amerikanischen Serie wählen können, ist die schwedische nicht unbedingt die erste Wahl. Aber wenn ein guter Plot daher kommt, ist es uns egal.

Länder wie Dänemark und Deutschland haben eine starke lokale Szene. Oft stehen muttersprachliche Künstler ganz oben in den Charts. In Schweden und Norwegen lag der Trend eher bei EDM mit Künstlern wie Kygo, Alan Walker, Galantis und Mike Perry. In den Niederlanden funktioniert das übrigens ähnlich wie beim schwedischen und norwegischen Hörverhalten.

Einige Musiktrends setzen sich aber auch weltweit durch. Mit dem Begriff "chill hits" können inzwischen Menschen auf der ganzen Welt etwas anfangen. Und eine der beliebtesten Wiedergabelisten überhaupt heißt "Songs to sing in your car". Holmstén meint, dass dies ein klares Zeichen dafür sei, in welche Richtung Trends sich wandeln.

"Spotifys Ziel ist es, die Momente im Leben eines Menschen zu bedienen, wo wir relevant und wichtig sein können, weil wir den passenden Soundtrack zur Situation liefern. Im Auto, beim Abendessen oder beim Training. Am Ende konkurrieren wir doch alle um das Gleiche: die Lebenszeit der Menschen, sagt er und fährt fort:

- Wenn Leute in ihrer Komfortzone verharren und immer nur dieselben Lieder hören, ist das sehr schade. Und eigentlich klar, dass es irgendwann langweilig wird. Dieses Publikum tendiert nicht dahin, zu einem anderen Musikdienst zu wechseln. Allerdings verpassen sie oft die Chance, sich auch mal neue Musik zu erschließen. In dieser Hinsicht sind Netflix oder Snapchat für uns eben so große Konkurrenten wie Apple Music oder YouTube.

Spotify will kein übel gelaunter Türsteher sein. Es soll demokratisch funktionieren. Wenn du ein aufstrebender Künstler bist, der großartige Songs macht, dann wirst du kaum an der Spitze anfangen.
Nick Holmstén

Wer bestimmt, welche Songs in Spotifys offiziellen Playlisten landen? Wie viel Macht haben die Redakteure?

Man kann Spotifys Playlist-Struktur im Grunde als Pyramide beschreiben. Ganz unten gibt es mehr als 4.500 lokale Playlists wie z.B. "Coffee break" und "Taco Tuesdays" mit Zehntausenden oder Hunderttausenden von Followern. Eine Independent-Liste wie "Fresh founds" ist noch ein bisschen kreativer und davon motiviert, Vertrauen zwischen Spotify und Nutzern aufzubauen.

In dieser untersten Ebene sind die Spotify-Redakteure am aktivsten. Die Auswahl der Songs basiert auf einer Kombination von Daten, ständiger Zielgruppenforschung und dem Feedback verschiedener Testgruppen.

- Unsere Redakteure sitzen nicht herum und machen ihren Listen rein nach Bauchgefühl, wie du und ich. Sie kriegen ständig Rückmeldung. Ganz im Gegensatz dazu, wie die Musikindustrie früher gearbeitet hat. Wie wäre das wohl gelaufen, wenn Radio-DJs nach jedem Song Feedback von ihren Zuhörern erhalten hätten?

Zurück zur Pyramide. Sobald ein Lied in den unteren Listen häufig gestreamt wird, steigt es auf in die nächste Ebene. Die erfolgreichen Nummern laufen in Millionenlisten wie "New music friday", "RapCaviar" oder "Viva Latino". Ganz oben an der Spitze der Pyramide trenden die "Today's Top Hits" mit 21 Millionen Followern, deren Auswahl unparteiisch auf den präzisen Abruf-Daten basiert. Es ist also völlig unmöglich, Spotify-Listen so zu manipulieren, dass man oben landet", erklärt Holmstén und räumt gleichzeitig ein, dass dies viele Plattenfirmen und Künstler schon versucht haben.

Spotify will kein übel gelaunter Türsteher sein. Es soll demokratisch funktionieren. Wenn du ein aufstrebender Künstler bist, der großartige Songs macht, dann wirst du kaum an der Spitze anfangen. Aber jeder sollte die Chance haben, sich durchzusetzen, findet Holmstén.

Was passiert, wenn ein neues Lied herauskommt, sagen wir auf der deutschen "New music friday" Liste?

Es wird von unseren Redakteuren kuratiert, basierend auf einer Kombination von Algorithmen und musikalischem Potential. Unsere Redakteure hören jede Woche Hunderte von neu veröffentlichten Liedern, um eine möglichst fundierte Auswahl treffen zu können. Am Ende entscheidet aber immer das Feedback unserer User. Die bestimmen, ob und welcher Song innerhalb des Systems aufsteigt, sagt Holmstén und schließt:

"Bei uns haben tatsächlich die Nutzer alle Macht. Obwohl wir sie dabei manchmal ein bisschen auf die richtige Spur bringen müssen."

Coffee Table Jazz 

Eine ruhige Playlist, gut gegen den täglichen Stress.

New Music Friday Sweden

Da ich jetzt nicht mehr in Schweden lebe, freue ich mich jeden Freitag besonders darauf. Man möchte ja weiter mitbekommen, was zuhause grade aktuell ist.

Viva Latino

Besonderes Genre, das locker um die ganze Welt getanzt ist, nicht zuletzt dank Songs wie "Despacito". Den weltweiten Erfolg lateinamerikanischer Musik verfolgen wir schon länger. Da sind wir doch sehr gespannt, wie sich das in Zukunft weiterentwickeln wird.

RapCaviar

Jedes Mal, wenn ich bei RapCaviar reinhöre, haut es mich um, wie viel Talent und Seele darin steckt. Die Playlist hat den Weg für einige große Namen innerhalb des Genres geebnet und vielen Künstlern ihre ersten Live-Shows in den USA ermöglicht.